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Wie Kinder fühlen – Kindergefühle verstehen, unterstützen und fördern

Wie Kinder fühlen – Kindergefühle verstehen, unterstützen und fördern

Wut, Angst, Trauer, Frust, übersprudelnde Freude – die Bandbreite der Gefühle ist vielfältig. Nicht immer können wir unsere Gefühle klar einordnen und oft fliessen sie ineinander. Der Umgang mit der Gefühlswelt stellt eine grosse Herausforderung dar. Selbst für Erwachsene ist es nicht immer einfach, die eigenen Emotionen zu deuten und vor allem zu regulieren. Emotionsregulation muss gelernt sein, ein Prozess, der bis ins Erwachsenenalter dauert. Kinder und Jugendliche befinden sich noch ganz am Anfang ihrer Reise dieses Lernprozesses.

Die Emotionsregulation ist eine der bedeutendsten Entwicklungsaufgaben, denn sie ermöglicht es, sich selbst besser zu verstehen und stabile Beziehungen aufzubauen. Dabei sind die Kinder auf die Unterstützung von Erwachsenen angewiesen. Eine Aufgabe, die auch die Eltern und Bezugspersonen vor grosse Herausforderungen stellen kann, gerade bei unangenehmen Gefühlen. Wie man die Emotionen der Kinder auffangen und begleiten kann und ihnen so Emotionsregulation beibringt, erklärt uns Kinder- und Jugendpsychologin Sabine Meier Schäfer.

In der Psychologie wird zwischen verschiedenen Grundemotionen unterschieden: Wut, Trauer, Angst, Freude und Neugier/Interesse. Darüber hinaus gibt es unzählige weitere Emotionen, die sich diesen Grundemotionen unterordnen. Freude ist vielleicht die einfachste oder schönste Emotion, die man auch teilen und mitfühlen kann. Trotzdem sind Emotionen etwas sehr Individuelles und jede Emotion, ob angenehm oder unangenehm, hat seine Berechtigung. Jedes Kind ist anders und drückt seine Emotionen anders aus. Es ist also wie mit einer Sprache, die man erst lernen muss. Als Eltern und Bezugspersonen muss man in der Beziehung zum Kind lernen, das Kind zu verstehen. Dafür ist es wichtig, den Ursprung des Gefühls, welches zum Ausdruck gebracht wird, zu ergründen. Gerade unangenehme Gefühle deuten auf ein unerfülltes Bedürfnis hin. Das beginnt bereits als Baby: Wir versuchen herauszuspüren, was das Kind braucht und was wir tun können, damit es sich wohl fühlt. Und auch wenn das Kind beginnt zu sprechen ist es nach wie vor die Aufgabe der Bezugspersonen, zu verstehen, was das Kind fühlt, da es sich noch nicht reflektiert ausdrücken kann und einfach das macht, was es fühlt. In dieser Hinsicht ist in der Beziehung zum Kind wichtig, die Emotionen in Worte zu fassen, die das Kind auf seine Art und Weise ausdrückt. Denn wenn das Kind einen Wutanfall hat, weiss es zunächst nicht, was da gerade passiert, es merkt nur, wie es seine Gefühle ausdrückt, beispielsweise in dem es Dinge herumschmeisst oder jemanden schlagen oder beissen möchte. Als Bezugsperson kann man dem Kind helfen, indem man das Verhalten des Kindes verbalisiert, klar kommuniziert und reflektiert. Das hilft, die Situation besser einzuordnen. Manchmal passt es in dem Moment auch gar nicht und es ist besser, die Gefühle einfach hinzunehmen und später nochmals darauf einzugehen. Wichtig ist, dass man im Gespräch mit dem Kind einfach verständliche Worte wählt, in dem man zum Beispiel sagt: «Du möchtest am liebsten alles herumschmeissen, du bist wahrscheinlich gerade sehr wütend.» So lernt das Kind: «Was jetzt gerade mit mir passiert, nennt Mama Wut.» Meistens spürt man selbst am besten, wann es für das Kind passt über die Situation zu sprechen. Wichtig ist, dass man ganz generell mit dem Kind über Emotionen sprechen kann, sei es in dem Moment, erst später oder auch im Zusammenhang mit anderen Kindern.

 

Infobox: Kinderbücher, die Emotionen verarbeiten

Bücher können ein tolles Hilfsmittel sein, Kindern Gefühlswelten verständlicher zu machen und Gefühle besser zu verstehen und verarbeiten.

 - Heute bin ich. Van Hout, Mies (ab 1 Jahr)

- Das Farbenmonster. Llenas, Anna (ab 3 Jahren)

- Da sein. Was fühlst du? Schärer, Kathrin (ab 3 Jahren)

- Das Farbenmonster. Doktor für Gefühle. Llenas, Anna (ab 3 Jahren) 

- Verborgen. Was man nur mit dem Herzen sieht. Doerrfeld, Corie (ab 3 Jahren) 

- Das alles sind Gefühle Engler, Michael / Swaney, Julianna (ab 4 Jahren) 

- Ich hab da so ein Gefühle. Ein Buch übers Kichern, Weinen, Wüten, Freuen. Grossmann-Hensel, Katharina (ab 4 Jahren) 

- Gefühle hat doch jeder. Was wir fühlen und wie man damit umgeht. Ahangaran, Reyhaneh (ab 8 Jahren) 

- Das grosse Buch der Gefühle. 50 Emotionen von Angst bis Zuversicht. Galimberti, Umberto (ab 10 Jahren)

Diese Buch-Tipps aus dem Kinder-und Jugendbuchladen Proviant sind Neuerscheinungen, die Kinder altersgerecht an die Vielfalt der Gefühle heranführen. Diese Bücher und viele weitere Bücher zu Gefühlswelten allgemein sowie zu spezifischen Gefühlen sind im Proviant (Spalenvorstadt 36 in Basel) erhältlich. Schau vorbei und lass dich inspirieren. Wir sind uns sicher, dass auch für deine Familie das passende Buch dabei ist. Sandra Näf-Gloor und ihr Team beraten dich gerne. 

 

Kann das Kind die Emotionen verstehen und deuten, kann es lernen, diese in etwas anderes als körperlichen Ausdruck umzuwandeln. Für die Emotionsregulation braucht es Ideen und Anregungen der Bezugspersonen. Um diese angestaute Energie in etwas Positives umzuwandeln, gibt es Instrumente wie eine Zeichnung zu machen, Musik oder ein Hörspiel zu hören, beim Kochen zu helfen oder bei älteren Kindern auch ein Time-Out, vorausgesetzt der Konflikt ist gelöst. Die Eltern sollen auch in sich hineinspüren, was ihnen in dieser Emotion guttun würde. Sie sind grosse Vorbilder für die Emotionsregulation der Kinder. Es ist wichtig seine Emotionen und den Umgang damit für sich selbst zu reflektieren und den Kindern gegenüber zu spiegeln und verbal auszudrücken: «Es tut mir leid, dass ich dich so fest gepackt habe. Ich war gerade sehr wütend.» Wichtig ist, das richtige Mass zu finden, wenn es darum geht, die eigenen Emotionen vor den Kindern zu zeigen. Dies ist beispielsweise auch bei Schicksalsschlägen und damit verbundener Trauer wichtig. Die Eltern sollen ihre Trauer zeigen und Kinder altersgerecht mit Themen wie Tod oder Krankheit konfrontieren. Auch vor den Kindern zu weinen ist völlig legitim. Ein Kind von einer Beerdigung eines engen Familienmitgliedes auszuschliessen ist beispielsweise nicht sinnvoll. Ebenso vor den Kindern zu weinen oder zu streiten ist völlig legitim und zu einem gewissen Grad auch wichtig. Und auch bei Ängsten ist es wichtig, diese zu äussern, aber nicht auf die Kinder zu projizieren. Wichtig ist es beim Ausdruck der eigenen Gefühle, eine Grenze zu ziehen und sich gegebenenfalls bis zu einem geeigneten Zeitpunkt zusammenzureissen, sodass man nach wie vor für die Kinder da sein kann.

Das Kind aus unangenehmen Emotionen herauszuholen beziehungsweise das Ausmass zu begrenzen ist erstrebenswert. Oft ist es jedoch auch wichtig, eine Situation und die Gefühle einfach anzuerkennen und auszuhalten. Dies ist immer auch eine Frage des Alters des Kindes. Für Eltern und Bezugspersonen ist beispielsweise gerade die Autonomiephase eine grosse Herausforderung. Auch wenn es nicht zu Machtkämpfen kommen sollte, ist es wichtig, dass das Kind beginnt, seinen eigenen Willen zu entdecken. Es ist eine Phase, in der das Kind lernt, dass es eine eigenständige Person ist, mit individuellen Bedürfnissen, losgelöst von den Eltern. Als Erwachsener muss man dabei flexibel sein und auch mal nachgeben können, was nicht in jeder Situation möglich ist. 

Eine enge Begleitung der Kinder auch in Bezug auf die emotionale Entwicklung ist bis ins Erwachsenenalter wichtig, verändert sich aber stetig. Mit Eintritt in den Kindergarten und die Schule spielen die Umwelt und insbesondere die Lehrkräfte zunehmend eine grössere Rolle. Viele Eltern erleben diese Meilensteine als grossen Einschnitt und fühlen sich weniger involviert. Gerade Mobbing wird dann zu einer schweren Thematik, da sie sich oft im Versteckten abspielt. Umso wichtiger ist es, dass Eltern gut zuhören und nachfragen, ohne sich zu sehr einzumischen. Besonders eignet sich dafür das gemeinsame Essen oder das Einschlafritual. Öffnet man den Kindern den Raum dafür, erzählen sie oft von sich aus, was sie beschäftigt. Je besser ein Kind bis dahin schon gelernt hat, die Emotionen wahrzunehmen, auszudrücken, einzuordnen und zu integrieren, umso mehr kann es sie dann gegenüber Bezugspersonen mitteilen.

Wenn es darum geht, Emotionen zu begleiten, handelt es sich meistens um Gefühle als Resultat eines Konfliktes. Jede Altersstufe bringt eine psychische Entwicklungsphase mit sich. Diese zu kennen, kann hilfreich sein, die Kinder bedürfnisorientiert zu begleiten. Sabine Meier Schäfer bezieht sich unter den zahlreichen Ansätzen in erster Linie auf das Modell von Erik Erikson, der die psychische Entwicklung von der Geburt bis zum Tod in 8 Stadien aus polaren Einheiten aufteilt. In Bezug auf die psychische Entwicklung von Kindern sind die ersten 5 Phasen bis zur Volljährigkeit wichtig. In jeder Entwicklungsphase hat das Kind Aufgaben und emotionale Fähigkeiten, die es erlernt. Für die Entwicklung des Kindes, ist ausschlaggebend, dass jeder Phase ausreichend begleitet wird. Die ersten fünf Stadien nach Erik Erikson helfen Bezugspersonen, die Entwicklungsaufgaben und dadurch das Verhalten der Kinder besser zu verstehen und somit besser zu begleiten. (Mehr zu den psychosozialen Entwicklungsphasen nach Erikson in der Inforbox)

Löst eine herausfordernde Situation bei den Eltern oder Kindern Leidensdruck aus, erfordert dies Hilfe von aussen. Oft reicht die Begleitung einer Elternberatung eines Quartierzentrums oder gar ein Ratgeber. Sollte Hilfe einer psychologischen Fachperson erforderlich sein, ist es für die Eltern wichtig zu verstehen, dass nicht sie als Eltern versagt haben, sondern sich die Familie gerade in einer schwierigen Situation befindet. Im Zweifelsfall ist es immer wichtig, sich externe Hilfe zu holen.

 

Infobox: Psychosoziale Entwicklung nach Erik Erikson

Quelle: Deutsche Heilpraktikerschule 

 - Stadium 1: Ur-Vertrauen vs. Ur-Misstrauen (1. Lebensjahr)
„Ich bin, was man mir gibt.“
Vertrauen beruht auf Bindung. Da ein Baby völlig abhängig ist, basiert die Entwicklung auf den psychosozialen Funktionsweisen Empfangen und Geben. Die Entwicklung des Vertrauens entsteht durch relevante Bezugspersonen, in der Stufe meistens die Mutter, mittels Fürsorge, Bedürfniserfüllung nach Sicherheit, Nähe und Geborgenheit. Werden dem Kind seine Bedürfnisse nach körperli­cher Nähe, Sicherheit und Geborgenheit verweigert, entwickelt es Bedro­hungsgefühle und Ängste (wie z.B. vor Feuer oder bestimmten Tieren). Wenn keine sichere Umgebung angeboten wird, entwickelt sich das Gefühl, seine Umwelt nicht beeinflussen zu können und ihr hilflos ausgeliefert zu sein. Dies führt zu Urmisstrauen. Die Elemente der Sozialordnung sind Ernährung und Pflege des Kindes. Wird der Konflikt auf dieser Stufe nicht gelöst zeigt sich eine starke orale Frustration wie Reizhunger, Gier, Leere-Gefühle, Depression, Ur-Misstrauen oder starken Abhängigkeitswünschen.

- Stadium 2: Autonomie vs. Scham und Zweifel (2. bis 3. Lebensjahr)
„Ich bin, was ich will.“
Behalten oder Hergeben sind die in dieser Stufe relevanten psychosozialen Funktionsweisen. Es geht um die zunehmende Autonomieentwicklung des Kindes und deren Bedeutung für das Selbstkonzept. Die Eltern schaffen die Voraussetzungen für die Auto­nomie des Kindes. Das Kind muss das Gefühl haben, seine Umwelt erforschen und seinen Willen durchsetzen zu können, ohne, dass dadurch das Gefühl des Vertrauens und der Geborgenheit verloren geht. Wenn die Eltern dem Kind unzureichend vertrauen oder der Drang des Kindes unterdrückt wird, entstehen Scham und Zweifel. Die eigenen Bedürfnisse und Wünsche werden als schmutzig und nicht akzeptabel wahrgenommen. Wird der Gehorsam des Kindes durch strenge Erziehung eingeübt, kann es zu zwanghaften Charakterzügen kommen. Diese zeigen sich später durch Kleinlichkeit in Bezug auf Liebe, Zeit und Geld; übertriebene Rechtschaffenheit sowie Pedanterie bis hin zur Zwanghaftigkeit.

- Stadium 3: Initiative vs. Schuldgefühl (4. bis 5. Lebensjahr)
„Ich bin, was ich mir vorstellen kann, zu werden.“
In der dritten Stufe geht es um eine gesunde Entwicklung der kindlichen Moral, was die Grund­lage für die Entwicklung des Gewissens legt. Kinder beginnen ihre Macht und Kontrolle über die Welt spielerisch zu behaupten. Sie spielen „tun als ob“-Spiele innerhalb der Bezugsfamilie. Parallel findet die Loslösung zwischen Mutter und Kind statt. Die Bewältigung des Ödipuskomplexes ist eine wichtige Aufgabe innerhalb dieser Stufe. Die symbiotische Beziehung zwischen Mutter und Kind öffnet sich und im Leben des Kindes gewinnen auch andere Personen an Bedeutung. Wird dieser Konflikt nur unzureichend gelöst, so können Angst und Schuldgefühle entstehen, die dann zu einer Selbsteinschränkung führen, gemäss den eigenen Fähigkeiten, Gefühlen, Wünschen zu leben.

- Stadium 4: Werksinn vs. Minderwertigkeitsgefühl (6. Bis 13 Lebensjahr)
„Ich bin, was ich lerne.“
Kinder in diesem Alter wollen zuschauen, mitmachen, beobachten und teil­nehmen. Sie wollen etwas konstruieren (z.B. mit Knetmasse, Schlamm) und dafür Anerkennung erhalten. Neben dem Drang zum Spielen entwickelt das Kind einen Werksinn. Kinder wollen nicht mehr so tun „als ob“, sondern wollen an der Welt der Erwachsenen teilnehmen. Sie entwickeln dabei Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Wird der Werksinn jedoch nicht angemessen ausgeführt, weil das Kind zum Beispiel nicht so leistungsfähig ist oder das Kind keine ausreichende Unterstützung dabei erhält, kann sich beim Kind das Gefühl entwickeln, gescheitert oder minderwertig zu sein. Die daraus entstehenden Versagensängste, die Angst vor bestimmten Aufgaben und keine Bewältigungsstrategien zu haben, mit Misserfolgen umzugehen, führen langfristig zu einem mangelnden Selbstbewusstsein.

- Stadium 5: Ich-Identität vs. Ich-Identitätsdiffusion (13. bis 18 Lebensjahr)
„Ich bin, was ich bin.“
Mit der beschleunigten körperlichen Entwicklung stellt sich immer mehr die Frage: Wer bin ich? Welche Meinung habe ich? Welche Einstellungen und Ideologien vertrete ich? Identitätsbildung gelingt, wenn möglichst viele positive Erfahrungen gesammelt wurden, ein stabiles Selbstvertrauen besteht und das Kind vorangegangen Konflikte bewältigt hat. Dies fügt sich schliesslich zu einer ICH-Identität. Als Bezugsgruppe dienen hier Gleichaltrige und Idole. Menschen mit einer Identitätsdiffusion, also keinem erfolgreichen Abschluss dieser Phase, ziehen sich von der Gesell­schaft zurück und schliessen sich unter Umständen Gruppen an, die ihnen eine gemeinsame Identität anbieten. Wird dieser Konflikt erfolgreich ausba­lanciert, so mündet dies in die Fähigkeit der Treue. Fixierungen zeigen sich in unbefriedigender Identität durch Unruhe, ewige Pubertät und vorschnelle Begeisterung. 

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