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Alle Kleidung ist für alle Kinder: Genderneutrale Kleidung

Alle Kleidung ist für alle Kinder: Genderneutrale Kleidung

Dass Genderklischees auch bei der Kinderkleidung noch immer tief in unserer Gesellschaft verwurzelt sind, spüren wir im täglichen Austausch mit unseren Kunden und Kundinnen und im Gespräch mit unseren Herstellern. Deshalb haben wir recherchiert und nachgefragt: Was ist genderneutrale Kleidung? Welche Vorteile hat genderneutrales Fashion Design? Was kann ich selbst tun, um Kindern einen offenen Umgang mit der Kleiderwahl zu vermitteln?

  

Von Mädchen- und Jungenfarben

«Die geschlechtsspezifischen Definitionen für Kleidung sind eine konstruierte Realität, die durch unsere Kultur und Normen bestimmt wird. Diese sind in den verschiedenen Ländern und Regionen der Welt unterschiedlich. Traditionellerweise kleiden wir unsere Kinder entsprechend unseren Werten», berichtet uns Caroline, Team Serendipity Organics. Eine Recherche im Internet hat gezeigt, dass es geschlechtsspezifische Mode erst seit wenigen Jahrhunderten gibt. Bis ins 19. Jahrhundert waren fast alle Kleidungsstücke genderneutral und bis in die 1950er Jahre (in anderen Kulturen bis heute) galt Pink als männliche Farbe. Das rosa Hemd für Männer im Geschäftsleben wird nach wie vor oft gesehen. Betritt man heute ein herkömmliches Bekleidungsgeschäft, wird bereits bei Babys klar zwischen Jungen und Mädchen unterschieden. Genderunterschiede sind unter anderem durch Farben, Aufdruck, Muster, Schnitt und Stil kodiert. Mit der Einführung des pränatalen Ultraschalls und somit der vorgeburtlichen Bestimmung des Geschlechts in den 1980er Jahren und mit der zunehmenden Kommerzialisierung von Kleidung hat sich dieses Konstrukt weiter verstärkt. Babys und Kindern hingegen sind all diese Geschlechtercodes wahrscheinlich erst einmal egal, Hauptsache es gefällt ihnen und sie fühlen sich wohl.

 

Junge oder Mädchen? Was Kleidung mit Kindern macht

Dass Kleidung, Spielzeug, Geschichten und Bücher, Hobbys und Berufswünsche strikt dem einen oder anderen Geschlecht zugeordnet sind, kann Kinder unserer Wahrnehmung nach jedoch stark unter Druck setzen. Dem Geschlecht und den damit verbundenen Klischees so viel Bedeutung zuzuschreiben, kann einschränkend auf die individuelle Selbstverwirklichung der Kinder wirken. Genderneutrale Kleidung hingegen trägt dazu bei, Rollenvorstellungen zu öffnen und den Selbstausdruck und die Gedankenfreiheit der Kinder zu fördern. Kinder können Kleidungsstücke auswählen, die ihre Persönlichkeit und Interessen widerspiegeln und zum Ausdruck bringen. Aber auch gegen aussen können so auferlegte Stereotypen und beeinträchtigende Erwartungen an das Erscheinungsbild der Kinder beseitigt werden. Oft sind wir uns nicht bewusst, wie sich unsere kulturellen Normen und Definitionen des Geschlechtes auf subtile Weise auf die Gefühlswelt unserer Kinder auswirken. Wir glauben, wenn Mädchen nicht mehr zierlich und Jungen nicht mehr stark sein müssen, kann sich ihr wahres Selbst entfalten und sie können ausgiebig spielen, wie sie wollen und was sie wollen.

«Ich glaube, es beginnt mit dem Verständnis dafür, dass wir uns bewusst machen, dass unsere Babys Menschen sind, bevor sie ein Mädchen oder ein Junge sind, mit eigenen Befindlichkeiten und Wünschen. Wenn wir dies verstehen, können wir leichter akzeptieren, dass sich unser Kind nach seinen Wünschen kleidet und spielt und nicht nach dem Massstab, den die Gesellschaft vorgibt», sagt Quentin, Markenentwickler Poudre Organic.

 

Das macht genderneutrales Fashion Design aus

Geschlechtsneutrale Kleidung bedeutet nicht, das Geschlecht des Kindes zu leugnen, sondern Freiheit zu geben. Genderneutrale Mode zielt darauf ab, Kleidung zu schaffen, an der jedes Kind unabhängig vom Geschlecht Freude hat. Dabei lehnt sie die Vorstellung ab, dass Rosa für Mädchen und Blau für Jungen ist und dass Mädchen zart und Jungen robust sein sollten. Caroline von Serendipity Organics, zieht es deshalb vor «geschlechtsübergreifend zu arbeiten, im Gegensatz zu geschlechtsneutral». Ziel der geschlechtsneutralen Kleidung ist es, Kinder von geschlechtsspezifischen gesellschaftlichen Erwartungen zu befreien. Kinder können einfach nur Kinder sein und das Spiel geniessen.

Auch beim französischen Modelabel Poudre Organic steht das Spiel im Vordergrund. Das Label entstand 2013 während der dritten Schwangerschaft des Gründerpaars Manon und Quentin, als genderneutrale Mode noch nicht in aller Munde war. Die beiden wussten das Geschlecht des Kindes noch nicht und so stand auch bei Poudre Organic ein genderneutrales Design im Mittelpunkt. Auch bei der Erwachsenenmode führt die Marke eine Kollektion, bei der das Geschlecht nicht im Vordergrund steht. «Es geht nicht darum, auf der einen Seite rosa Kleider und auf der anderen Seite blaue Hemden zu fertigen. Die Garderobe muss gemischt und gemütlich sein, das ist alles», ergänzt Quentin, Markenentwickler Poudre Organic.  

Für Designer geschlechtsneutraler Kindermode bedeutet das, nicht speziell für ein Mädchen oder einen Jungen Kleidung zu entwerfen, sondern für Kinder. Dafür liegt das Funktionelle entgegen dem Dekorativen im Fokus. Kleider und Röcke sind beispielsweise eher unpraktisch zum Spielen, was nicht bedeutet, dass sie gar keinen Platz in der Garderobe haben. Konventionelle Kleidung kann die Bewegungsfreiheit einschränken, wodurch die Kinder weniger frei und sportlich spielen können. Das nehmen wir vor allem bei traditioneller Mädchenmode so wahr. Diese scheint häufig figurbetonter geschnitten zu sein: Die Shorts sind kürzer, Ausschnitte tiefer und alles grundsätzlich viel enger. Dies ist auf mehreren Ebenen problematisch. Andererseits beobachten wir, dass es für Mädchen viel einfacher ist, Jungenkleidung anzuziehen. Umgekehrt gibt es viel mehr Tabus.

  

Mit Schlichtheit zu mehr Einfachheit im Alltag

Quentin betont, dass sie beim Schnitt eines Kleidungstücks vor allem auf die richtige Weite achten, damit das Kind beim Spiel oder beim Essen nicht eingeschränkt wird. Konzipiert wird also für realistische Bewegungen und Spiel. Das ermöglicht gleichzeitig einen weiteren Vorteil: Das Kind kann sich früh selbst an- und ausziehen, was mehr Unabhängigkeit für das Kind bedeutet. Alltagstauglichkeit bezieht sich allerdings nicht nur auf die Bewegungsfreiheit und das eigenständige Ankleiden, sondern auch auf den Stil. Die Designs sind darauf ausgerichtet, dass alles zusammenpasst. Kleidungsstücke können beliebig gemischt werden, ohne den Look zu schmälern. Dies liegt auch an der Schlichtheit der Designs: keine Strasssteine, wilden Muster oder grellen Farben. Das beeinflusst auch die Sinne der Kinder positiv und lenkt die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche: die Entdeckung der Welt um sie herum.

Schlichtheit ist auch bei Serendipty Organics der Schwerpunkt der Designs. Die Farbpalette bewegt sich mit wenigen Ausnahmen auf einem Spektrum mit abgeschwächten organischen Farben. «Bei Serendipity ist unser Design klar und sauber, mit sehr wenigen und subtilen Rüschen, Schleifen und Puffs. Wir ermutigen dazu, dass es von jedem getragen werden kann», betont Caroline, Team Serendipity Organics. Zusätzlich achten die Marken sehr darauf, wie die Kleidungsstücke benennt werden. Anstatt Mädchen- oder Jungen-, nutzen sie Baby- oder Kind- als Bezeichnung.

«Der Nachteil ist, dass wir auf der Strasse oft gefragt werden, ob unsere Kinder Mädchen oder Jungen sind. Aber letztendlich ist das nicht wirklich ein Nachteil. Sie sind, was sie sind, und in erster Linie ein Kind und kein Junge oder ein Mädchen.» (Quentin, Markenentwickler Poudre Organic)

 

Genderneutrale Kinderkleidung ist nachhaltig

Beide Marken betonen, dass das Design auch zeitlos sein muss, sodass es nicht so schnell aus der Mode kommt. «Für uns ist es auch ein Teil des Versuchs, Slow Fashion voranzutreiben, sodass Kleidungsstücke nicht so schnell aus der Mode kommen und an Geschwister oder Freunde weitergegeben werden können, um die Lebensdauer zu verlängern und so weniger Auswirkungen auf die Umwelt zu haben.» (Caroline, Team Serendipity Organics)

Genderneutrale Kleidung zu kreieren ist eine sehr bewusste Entscheidung gegen Konsum und Fast Fashion und dadurch oft auch mit starkem Umweltbewusstsein verbunden. Dies zeichnet sich einerseits darin aus, dass sich gleichgesinnte Labels oftmals für Bio-Naturfasern, nachhaltigen Anbau und Tierhaltung, soziale Arbeitsbedingungen, fairen Handel und Löhne, sowie kurze Transportwege und gegen gefährliche Pestizide und Chemikalien entscheiden. Durch die Langlebigkeit werden weniger Kleidungsstücke benötigt und das genderneutrale Design ermöglicht es, das Kleidungsstück uneingeschränkt beispielsweise an Geschwister, Cousins und Cousinen oder Freunde weiterzugeben. Kleidung zu Teilen bereitet nicht nur grosse Freude, sondern reduziert den Umfang an Wegwerfkleidung und somit Müll auf Mülldeponien und den CO2-Fussabdruck.

 

Bei Molemin ist alles für alle Kinder

Die Vorteile des praktischen Designs und der Nachhaltigkeit sind auch der Grund, weswegen bei Molemin so viele Marken einziehen dürfen, die diese Glaubensgrundsätze verkörpern. Das Gründerpaar Jana und Abuzer haben eine ähnliche Geschichte erlebt wie Manon und Quentin. Als sie ihr erstes Kind erwarteten, suchten sie genau nach dieser Praxistauglichkeit und Einfachheit in der Anwendung und im Design. Da das Angebot in den lokalen Geschäften sehr klein war, entschieden sie sich dazu, Molemin zu eröffnen und die Produkte anzubieten, die sie sich für ihre Kinder wünschten. «Wir haben uns in Bezug auf die Kleidung nie grosse Gedanken zum Geschlecht gemacht, sondern einfach darüber was uns gefällt», berichtet Jana, Geschäftsführerin von Molemin. Das spiegelt sich auch im Ladenkonzept wider: Anders als in traditionellen Kleiderläden ist der Laden nicht nach Geschlecht eingerichtet, sondern thematisch sortiert. «Wir möchten mit der Anordnung der Kleidung nicht vorschreiben, was für Mädchen oder Jungen ist. Das sehen auch die Hersteller, die wir in unserem Sortiment haben so.» (Jana, Inhaberin Molemin) Nur die Kleider und Röcke hängen einfachheitshalber zusammen an einem Ständer, da oft spezifisch danach gefragt wird, manchmal auch für einen Jungen.

«Es gibt die Kunden, vor allem ältere Generationen, die oft direkt nach der Mädchen- oder Jungenabteilung fragen und ganz klare Vorstellungen haben, was Schnitt, Muster und Farbe betrifft. Andere wiederum kaufen auch für Jungen Rosa, Blümchen oder gar ein Kleid. In der Beratung vermeide ich, dass das Geschlecht des Kindes im Vordergrund steht. Vielmehr versuche ich den Geschmack der Kundin oder des Kunden und die Offenheit Farben und Designs gegenüber herauszufinden und frage dann zum Beispiel, ob Rosa in Frage kommt. Denn das Geschlecht ist grundsätzlich unwichtig. Es sagt nichts darüber aus, was dem Kunden oder dem Kind gefällt.» (Jana, Inhaberin Molemin) Auch wenn zwar alle Farben neutral sind, zeichnet sich ab, dass vor allem Rot und Blau gerne für Jungen und Mädchen gekauft werden. Jana beobachtet zudem, dass es auch auf den Farbton ankommt. Ein dunkles Altrosa wird von Kunden eher auch für Jungen in Betracht gezogen als das klassische Pink. Auch wenn Molemin eine offenere Kundschaft anzieht, ist zu vernehmen, dass für Jungen noch mehr Tabus bestehen als für Mädchen. «’Jungs Sachen’ werden gerne für ein Mädchen mit typischen ‘Mädchen-Sachen’ kombiniert, um das Outfit femininer zu machen. Umgekehrt ist das weniger der Fall.» (Jana, Inhaberin Molemin)

 

Eine Bewegung für (Bewegungs-)Freiheit

Geschlechtsneutrale Mode ist in vielerlei Hinsicht befreiend, muss aber keine strikte Entweder-Oder-Entscheidung für die Eltern oder die Kinder sein. Im Fokus dieser Bewegung steht die Selbstdarstellung ohne auferlegte Regeln oder Grenzen. Es ist auch in Ordnung, wenn die Kinder nach traditionell männlicher oder weiblicher Kleidung fragen. Manchmal ist es für Kinder genauso wichtig, mit Geschlechterstereotypen und Extremen zu experimentieren, wie mit seinem Selbstbild. «Was der Gesellschaft fehlt, ist Aufgeschlossenheit, und um die Dinge zu ändern, liegt es an jedem von uns, dies zu tun. Wir machen Kleidung, andere machen Spielzeug, andere Schreibwaren oder Dekoration. Es geht nicht darum, das Geschlecht des Kindes zu leugnen, sondern darum, ihm die Zeit zu geben, seine Persönlichkeit zu entwickeln, indem man ihm die Mittel dazu gibt.» (Quentin, Markenentwickler Poudre Organic) Und Caroline ergänzt: «Wir bilden noch keine Jungen, die Kleider tragen ab, aber das könnte kommen.». Irgendwann wird die Gesellschaft so weit sein, dass auch das ganz normal ist. Bis dahin treffen wir uns auf neutralem Boden. Unsere Aufgabe als Eltern und Bezugspersonen besteht darin, unseren Kindern eine Grundlage zu bieten und vorzuleben und ihre Reise zu würdigen.

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