In der Modeindustrie hat sich der Begriff Slow Fashion bereits etabliert. Er steht für zeitloses Design, natürliche oder recycelte Materialien, hohe Qualität, gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne. Wir haben bei zwei unserer Hersteller nachgefragt, wie der Produktionsprozess einer neuen Kollektion aussieht und wie Trends berücksichtigt werden können, wenn Kollektionen Monate im Voraus entstehen.
Bei Molemin treffen gerade die ersten Lieferungen der neuen Frühjahr-/Sommerkollektion ein. Im Hintergrund sind wir bereits mit den Bestellungen für die kommende Herbst-Wintersaison 2023/24 beschäftigt. Dabei werden Herstellerkataloge studiert, Excel-Tabellen ausgefüllt, wir rechnen nach und hoffen, dass wir den Geschmack der Kundschaft mit unserer Auswahl treffen.
Die Kleider bei Molemin stammen von Labels, die auf eine nachhaltige, ökologische und faire Produktion Wert legen. Es sind sowohl kleine, aufstrebende als auch langjährig etablierte Unternehmen und Familienbetriebe. Das Sortiment setzt sich aus zwei Kategorien an Herstellern zusammen: Eine Gruppe führt überwiegend dasselbe Sortiment, welches zeitlich unabhängig nach Bedarf nachbestellt werden kann. Es verändern sich hin und wieder Farben, aber im Grossen und Ganzen bleibt das Sortiment das Gleiche. Die andere Gruppe an Herstellern kreiert in der Regel zwei Kollektionen pro Jahr – eine für die Herbst-/Winter- und eine für die Frühjahr-/Sommersaison. Bei diesen Herstellern können jeweils ein halbes Jahr vor Liefertermin Kollektionsbestellungen getätigt werden.
Die Vorbereitungen bei den Kleiderlabels beginnen noch viel früher. Der französische Hersteller Louise Misha erklärt, dass sie mit jeder Kollektion genau ein Jahr vor dem Launch beginnen, also sechs Monate bevor die Händler mit den Bestellungen beginnen können. «Es dauert einige Monate, um die Entwürfe fertigzustellen, die Drucke, die Modelle, die Details und die Materialien auszuwählen, denn wir legen grossen Wert auf die Einzigartigkeit unserer Drucke und die Kostbarkeit der Details, die unseren Bohème-Geist charakterisieren», meint Marie Pidancet, Schöpferin von Louise Misha. Die Werkstätten schicken dann Prototypen, die kommentiert und korrigiert werden. Wenn die Entwicklung der Modelle abgeschlossen ist und die Händler ihre Bestellungen aufgegeben haben, wird die Produktion gestartet. Das erlaubt eine schlankere Produktion und hilft Lagerbestände zu begrenzen. Während dieses Zeitraums schicken die Werkstätten Grössensätze zur Überprüfung der Grössen und dann Auszüge aus der Produktion zur endgültigen Validierung, erklärt Marie Pidancet. «Jeder Zyklus wird genutzt, um unsere Liebe zum Detail zum Ausdruck zu bringen.»
Auch bei der spanischen Marke Dear Mini beginnt die Planung viele Monate im Voraus. «Bevor eine Kollektion ganz fertig ist, wissen wir schon, wie die nächsten zwei bis drei Saisons aussehen», meint Marta Martínez von Dear Mini. Für jede Kollektion werden zuallererst Ideen gesammelt, dann Muster definiert und Farben und Stoffe ausgewählt. Die Drucke sind jeweils handgemacht für jede Kollektion. Die Kleidermuster werden für Agenten rechtzeitig hergestellt, so dass diese die Kollektion innerhalb von zwei bis drei Monaten an ihre Kunden verkaufen können. Sobald alle Bestellungen eingegangen sind, werden sie an die Produktion weitergeleitet. «Auf diese Weise vermeiden wir es, mehr zu produzieren, als verkauft werden kann, und tragen somit zum Umweltschutz bei», erklärt Martínez.
Um sich inspirieren zu lassen, besucht das Team hinter Louise Misha mehrere Modemessen, wie zum Beispiel die Première Vision in Paris. Aber im Allgemeinen hört die französische Kleidermarke nicht wirklich auf Trends: «Ich lass mich von meiner Neugierde leiten und von meinen Reisen, Begegnungen und Entdeckungen inspirieren», erzählt Pidancet von Louise Misha. Martínez definiert die Dear Mini-Ästhetik als «nordisch, von der Natur inspiriert und für Kinder entworfen, die Spass haben wollen». Für jede Kollektion wird eine Geschichte definiert, in den meisten Fällen sind Tiere dazu der Schlüssel. Die Farben, die Dear Mini für ihre Kollektionen wählt, sind neutral, vielseitig und zeitlos.
Aber wie wissen die Designer, was in einem Jahr modisch sein wird? «Heutzutage ist alles tragbar und alles ist modisch», meint Marta Martínez. «Wir entwerfen und produzieren mit viel Liebe, achten auf die kleinen Details und berücksichtigen die Umweltauswirkungen, die die Modeindustrie verursacht,» erklärt sie.
Sobald die Kollektionen von Seiten der Hersteller freigegeben sind, können Geschäfte wie Molemin bestellen. Meist ein gutes halbes Jahr bevor die Ware dann im Laden eintrifft und vom Endkunden gekauft werden kann. Bei Kollektionsbestellungen für Molemin stützen wir unsere Auswahl auf die Erfahrung, die wir im Laufe der Jahre gesammelt haben: Zum Beispiel funktionieren gewisse Kleidungsstücke in Rosa nicht so gut; Blau ist dahingegen meist eine sichere Farbe. Hilfreich bei der Erkennung von neuen Modetrends sind Modemessen, wie zum Beispiel die kürzlich besuchte Innatex in Deutschland, aber auch Instagram ist ein guter Indikator. Richtig sicher kann man sich aber nie sein. Es gibt immer wieder Überraschungen, was gut und was nicht gut ankommt. Auch praktische Überlegungen fliessen mit ein. Beim Bestellen versuchen wir immer eine gute Mischung hinzubekommen, so dass jeder Bereich fürs Baby abgedeckt ist: Strampler, Hosen, Strickjacken, und so weiter. Und ganz pragmatisch: Für Säuglinge bestellen wir nicht unbedingt Pullover, weil Strickjacken einfacher anzuziehen sind. Ausserdem gibt es meist Mindestbestellwerte, die je nach Hersteller verschieden sind und auch beachtet werden müssen. Meistens wird jedoch in kleinen Stückzahlen bestellt, das heisst dass ein Kleidungsstück nur ein- oder zweimal in einer Grösse erhältlich ist und meist auch nicht nachbestellt werden kann. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Auswahl sind Qualität, Materialien und Herstellungsprozesse. Diese Kriterien sind auch ausschlaggebend bei der Wahl eines neuen Herstellers. Wir von Molemin überprüfen, welche Gütesiegel das Label hat, und wo und wie die Kleider produziert werden.
All dies ist Teil der Slow Fashion-Bewegung. Im Gegensatz dazu steht die Fast Fashion-Industrie, die auf ständig wechselnde Modetrends mit günstig gefertigter, schnelllebiger Ware reagiert. Meist zu Ungunsten von Umwelt, Mensch und Tier. Slow Fashion steht hingegen für die Entschleunigung der Modeindustrie. Der Konsum soll verlangsamt und Kleidung länger getragen werden. Der Hauptgedanke dahinter ist eine stärkere Wertschätzung von Kleidung. Slow Fashion kann auch bedeuten, Kleidung zu tauschen, zu leihen oder Second Hand zu kaufen. Für die Labels bedeutet Slow Fashion: weniger Kollektionen pro Jahr, langsamere Produktionsprozesse und ein besonderer Fokus auf Qualität. Bedingt durch die Verwendung umweltfreundlicher Materialien, Errichtung guter Arbeitsbedingungen und Zahlung fairer Löhne sind neu produzierte Slow Fashion-Produkte meist teurer. Qualität hat seinen Preis.
Slow Fashion bedeutet für Marie Pidancet von Louise Misha «die Auswahl von zertifizierten Familienbetrieben, die auf die Erhaltung des traditionellen und menschlichen Know-hows achten; eine Bademodenlinie mit überwiegend recycelten Materialien; eine Haushaltslinie aus 100% biologischen und natürlichen Materialien; eine Kinderlinie, die fast ausschliesslich aus natürlichen Materialien besteht und die Bündelung des Transports unserer Stücke». Nachhaltigkeit ist, laut Marta Martínez, der wichtigste Wert für Dear Mini. «Deshalb ist unsere Produktion lokal – wir produzieren in der Nähe von Barcelona – und unsere Kleidungsstücke werden aus Bio-Baumwolle hergestellt, die zu natürlichen und weichen Stoffen verarbeitet wird.»
Slow Fashion bedeutet natürlich nicht, dass neue Trends in der Modebranche nicht berücksichtigt werden. Für Dear Mini’s Marta Martínez ist die Entwicklung von neuen, recycelten Materialien sehr interessant. «Wir unterstützen jede Entwicklung, die dazu beiträgt, die Umwelt für uns und für künftige Generationen zu schonen. Wir lieben zum Beispiel die Initiativen von Unternehmen wie ECOALF. Sie sammeln Plastik aus dem Meer, um daraus Jacken herzustellen.» Sie haben es geschafft, Produkte zu schaffen mit gleichbleibender Qualität und gleichem Design, aber hergestellt aus recycelten Materialien, erklärt Martínez.
Marie Pidancet betrachtet die Entwicklung des Second-Hand-Marktes mit grosser Aufmerksamkeit, zumal ihre «Stücke als Schätze entworfen werden, die man in Ehren hält, die man so lange wie möglich behalten und weitergeben möchte». Aus diesem Grund hat die französische Marke Transmissions ins Leben gerufen. Transmissions ist eine Plattform, die es erlaubt, Louise Misha-Kleidungsstücke, die von ihren Besitzern nicht mehr getragen werden, innerhalb Frankreichs weiterzuverkaufen.
Auch bei Molemin regt der wachsende Second Hand-Markt zum Nachdenken an und es stellt sich die Frage, ob und wie er sich integrieren lässt. Momentan arbeiten wir aber an anderen Projekten und denken (noch) nicht in Richtung Second Hand.
Halten wir fest: Slow Fashion bedeutet also nicht den Verzicht auf aktuelle Trends. Es bedeutet lediglich sich für qualitativ hochwertige Produkte aus guten Materialien zu entscheiden, die die Umwelt schonen und menschenwürdige Arbeitsbedingungen sichern. «Nachhaltigkeit ist der neueste Modetrend!», meint auch Marta Martínez von Dear Mini. Das ist ein Modetrend, auf den wir gerne setzen!