In unserem Alltag nehmen digitale Medien viel Raum ein und ziehen Erwachsene und Kinder gleichermassen in den Bann. Viele Eltern und Bezugspersonen sind verunsichert, wie sie mit der Omnipräsenz der Bildschirme in Bezug auf das Familienleben umgehen sollen. Jugend und Medien, die nationale Plattform des Bundes zur Förderung von Medienkompetenz, bietet umfangreiche Informationen und klärt darüber auf, wie Bezugspersonen Kindern und Jugendlichen nicht nur einen verantwortungsvollen, sondern auch einen sicheren Umgang mit Medien ermöglichen können. Wir hatten die Gelegenheit einer der Projektleiterinnen von Jugend und Medien, Nina Hobi ein paar Fragen zum Thema verantwortungsbewusster Mediennutzung zu stellen.
Wie können wir als Bezugspersonen mit der Omnipräsenz digitaler Medien im Alltag Zuhause und im öffentlichen Raum (z.B. im Bus, Supermarkt, etc.) umgehen?
Nina Hobi: Digitale Medien sind gekommen, um zu bleiben – während ihre Omnipräsenz uns Erwachsenen manchmal negativ auffällt, wachsen unsere Kinder ganz selbstverständlich damit auf. Es ist ihre Normalität. Eltern sollten kein «zurück in die analoge Zeit» anstreben.
Trotzdem steht die Balance im Vordergrund. Es ist zwar wichtig, dass Kinder lernen, sicher und verantwortungsbewusst mit digitalen Medien umzugehen, diese Fähigkeiten sind heute einfach nicht mehr entbehrlich. Aber sie brauchen ganz unterschiedliche Sinneserfahrungen, viel Bewegung, Sozialkontakte und die Möglichkeit, sich in all diesen Dingen auszuprobieren. Es geht darum, den Kindern zu vermitteln, dass digitale Medien sehr hilfreich und spannend sind, es jedoch noch ganz viele andere Dinge gibt, mit denen man sich auch beschäftigen kann – und das auch vorzuleben.
Was bedeutet bewusste Mediennutzung und wie können die Bezugspersonen einen verantwortungsbewussten Umgang mit digitalen Medien und Geräten vermitteln?
Nina Hobi: Bewusste Mediennutzung bedeutet, die eigene Mediennutzung zumindest hier und da zu reflektieren. Wozu nutzt man digitale Medien und wie fühlt sich das an? Welchen Stellenwert haben digitale Medien für einen selbst im Vergleich zu anderen Beschäftigungen – und ist das stimmig? Was für Strategien nutzt man, um die eigene Mediennutzung zu kontrollieren?
Wer als Elternteil vorlebt, dass digitale Medien für ganz viele Zwecke genutzt werden können, es aber auch Momente gibt, in denen der Fernseher ausgeschaltet und das Handy beiseitegelegt werden, dann würde ich das als eine bewusste Mediennutzung bezeichnen. Familien schaffen medienfreie Momente, die von allen (!) eingehalten werden, aber auch Medien-Momente, die gemeinsam (je jünger die Kinder sind, desto wichtiger!) erlebt werden.
Wie kann man die Kinder bei der Mediennutzung unterstützen und Medienzeit sinnvoll, kreativ und zukunftsorientiert in den Familienalltag integrieren bzw. nutzen und eine Balance zwischen Medienzeit und medienfreier Zeit finden? Wie kann man Zeitbegrenzung begreifbar machen?
Nina Hobi: «Sinnvoll» ist ein schwieriges Wort, es impliziert, dass es auch «sinnlose» Medienzeit gibt und das ist ein Vorwurf, den sich gerade Kinder und Jugendliche oft von ihren Eltern anhören müssen (die selbstverständlich ihre eigene Instagram- oder Netflix-Nutzung nicht «sinnlos» nennen würden). Unterhaltung und Entspannung sind Gründe für Mediennutzung, die genauso sinnvoll sein können wie «Lernen» oder «Kommunizieren». Aber: ja, es ist wichtig, dass Kinder kreative Möglichkeiten kennen, mit digitalen Medien etwas zu machen und nicht nur Inhalte zu konsumieren. Eine Möglichkeit ist das Programmieren, da gibt es diverse Apps etc., besonders nett finde ich persönlich die «Robomaus» in der Maus-App. Was ich auch gern mit meinem Sohn (6 Jahre alt) mache, sind StopMotion-Videos mit Lego. In unserem Blog gibt es einen Artikel über kreative Smartphone-Nutzung mit ganz vielen weiteren Tipps (u.a. zum Thema Basteln & Malen oder Geschichtenerzählen): Einmal Smartphone kreativ, bitte: Jugend und Medien.
Eine Balance finden zwischen Medienzeit und medienfreier Zeit ist ganz wichtig in allen Familien, aber auch sehr individuell. Bei jüngeren Kindern bis ca. Schulalter sollten die Eltern die Medienzeit definieren – und vor allem auch sehr genau hinschauen, was die Kinder sehen/hören/spielen bzw. sie eng dabei begleiten. Das muss nicht immer heissen, sich danebenzusetzen, aber doch genau zu wissen, was für Inhalte die Kinder konsumieren.
Es ist aber nicht nötig, jeden Tag genau die gleiche Anzahl Minuten Bildschirmzeit zu «genehmigen». Vor allem deshalb nicht, weil man als Elternteil diese Pause vom Trubel oft braucht und es völlig in Ordnung ist, mit der Tasse Tee mal länger sitzen zu bleiben. Kein Elternteil muss ein schlechtes Gewissen haben, wenn es die Medienzeit der Kinder ganz bewusst nutzt, für Pausen oder um etwas zu erledigen.
Das mit der Zeitbegrenzung ist so eine Sache. Einerseits wichtig, aber andererseits halt oft auch Grund für Konflikte. Kinder sind individuell, was beim einen super funktioniert, kann beim anderen zum Wutanfall führen (oder auch abhängig von der Tagesform mal so mal so). Gute Ideen finde ich:
- Grundsätzlich nicht mitten in einer Folge oder in einem Spiel-Level unterbrechen. Das finden wir Erwachsenen auch nicht gut! Wenn das Essen auf dem Tisch steht, kann man auch sagen: «Du kannst die Folge nachher zu Ende schauen.» (yay, zehn Minuten Ruhe nach dem Essen, mit der Partnerperson oder allein noch sitzen bleiben, die Küche machen, sich mit einem anderen Kind beschäftigen, etc. – win-win!)
- Sich neben das Kind setzen und ein Gespräch beginnen über das, was es da guckt oder spielt und es so langsam aus der virtuellen Welt wieder ins Kinderzimmer holen.
- Mit grösseren Kindern/Jugendlichen besser «medienfreie Zeiten» vereinbaren statt «Medienzeiten», das gibt ihnen mehr Verantwortung und Selbstbestimmung. Klappt besonders gut, wenn sie von klein auf daran gewöhnt sind, dass auch die Eltern medienfreie Zeit haben (z.B. beim gemeinsamen Essen).
Wichtig finde ich, dass man flexibel ist. Nicht immer ist es notwendig, die Medienzeit genau nach 25 Minuten zu beenden, manchmal hingegen reicht es nur für 15 Minuten. Für die meisten Kinder ist es kein Problem, wenn es keine klare Regelung diesbezüglich gibt. Die Balance zwischen online und offline muss nicht jeden Tag penibel genau eingehalten werden, das sollte einfach im Grossen Ganzen stimmen, die Mediennutzung aller Familienmitglieder sollte in den Familienalltag passen, diesen im besten Fall erleichtern und nicht belasten oder stören.
Infobox: Empfehlungen zur Dauer der Medienzeit und Art der Medien nach Alter
0-3 Jahre:
- Möglichst keinen Kontakt zu digitalen Medien und nur für kurze Zeit in Begleitung und als gemeinsames Spiel.
- Der Fernseher bleibt aus. Der eingeschaltete Fernseher schadet dem Lernprozess des Kindes, selbst wenn es nicht hinschaut.
- Kein Fernseher und vergleichbare Geräte im Kinderzimmer.
3-6 Jahre:
- Klare Regeln zur Zeitdauer mit digitalen Medien festlegen und kommunizieren (empfohlene Medienzeit durchschnittlich weniger als 1 Stunde pro Tag).
- Informiere dich über die Altersangabe der Medieninhalte und halte diese ein.
- Geräte zur digitalen Mediennutzung nicht im Schlafzimmer.
- Keine Medienzeit während Mahlzeiten, vor dem Einschlafen oder zur Beruhigung.
6-9 Jahre:
- Klare Regeln zur Zeitdauer mit digitalen Medien festlegen und kommunizieren (empfohlen werden durchschnittlich 5-12 Stunden pro Woche; je jünger, desto kürzer).
- Bildschirme kreativ verwenden (z.B. Rezepte, Malen, Basteln etc.).
- Gespräche führen über die Erfahrungen, die das Kind während der Medienzeit macht.
- Geräte zur digitalen Mediennutzung nicht im Schlafzimmer.
- Keine Medienzeit während Mahlzeiten, vor dem Einschlafen oder zur Beruhigung.
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Aufklärung über Internet, Recht auf Intimsphäre und Bildrechte
1) Alles, was man ins Internet stellt, kann an die Öffentlichkeit gelangen.
2) Alles, was man ins Internet stellt, bleibt für immer dort. - 3) Man darf nicht alles glauben, was man im Internet sieht und liest.
9-12 Jahre:
- Lege mit deinem Kind Regeln zur Zeitdauer und Nutzung von Bildschirmen und Internet fest. Darf das Kind schon alleine surfen oder nur in Begleitung?
- Gespräche über die Erfahrungen, die das Kind während der Medienzeit macht. Der Fokus verlagert sich auch hier langsam auf das Internet.
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Vertiefung Internetnutzung, Recht auf Intimsphäre und Bildrechte
1) Alles, was man ins Internet stellt, kann an die Öffentlichkeit gelangen.
2) Alles, was man ins Internet stellt, bleibt für immer dort. - 3) Man darf nicht alles glauben, was man im Internet sieht und liest.
- Bestimme mit deinem Kind, in welchem Alter es ein Mobiltelefon haben darf. Von Jugend und Medien in Zusammenarbeit mit Pro Juventute gibt es eine Checkliste zum ersten eigenen Mobiltelefon.
Ab 12 Jahren:
- Das Kind kann langsam alleine im Internet surfen. Aber du bestimmst mit ihm die Zeitdauer.
- Sprich mit deinem Kind über Download, Plagiate, Pornographie, (Cyber-) Mobbing und Belästigung.
- Nachts bleiben das Mobiltelefon und das WLAN aus.
- Bleib verfügbar – dein Kind braucht dich noch!
- Je älter das Kind wird, bewährt es sich, statt Medienzeit bildschirmfreie Zeit zu vereinbaren (Essenszeiten, vor dem Schlafen, in der Hausaufgaben- und Lernzeit, ein paar freie Stunden am Tag, um anders kreativ tätig zu sein etc.)
Für alle Altersstufen gilt: Medien sind als Mittel zur Bestrafung oder Belohnung nicht geeignet. Ihre Bedeutung für Kinder wird so nur gesteigert. Ein Kinderzimmer ohne Fernseher, Computer, Spielkonsole sowie allen portablen Mediengeräten hilft, die abgemachten Bildschirmzeiten im Auge zu behalten. Regelmässige bildschirmfreie Zeiten sind in jedem Alter empfehlenswert, damit digitale Medien vor allem bei Langeweile nicht zur Routine werden.
Weitere Details zu:
- Meilensteine beim Entdecken und Aufwachsen mit Bildschirmen und den verschiedenen digitalen Medien.
- Flyers mit Empfehlungen zu den verschiedenen Altersgruppen.
- Informationen zu Regeln rund um digitale Medien.
- Informationen, Fakten und Zahlen zu den verschiedenen Arten von digitalen Medien (Internet, Smartphones & Tablets, Soziale Medien, Games, Fernsehen & Streaming).
Wie kann man die Themen der konsumierten Medieninhalte und Aktivitäten im Gespräch oder im Spiel aufgreifen und verarbeiten?
Nina Hobi: Im Spiel tun das die Kinder meist ganz von selbst. Wenn man weiss, was sie gesehen oder gespielt haben, merkt man das gut – und die Medienheld*innen spielen für viele Kinder auch beim Spielen eine grosse Rolle. «Was hast du heute bei der «Maus»/bei «Checker Tobi» gelernt?» ist bei uns eine normale Frage an unseren älteren Sohn beim Abendessen. Bei grösseren Kindern, die mehr Auswahl an Inhalten haben oder schon selbständig im Internet bewegen, ist es umso wichtiger, sie darauf anzusprechen, was sie gesehen/gelesen/gespielt haben. Nicht immer erzählen sie von sich aus, wenn sie etwas verängstigt, geärgert oder verunsichert hat – es ist deshalb zentral, dass die Eltern dem Kind signalisieren: Egal, was es ist, du kannst zu uns kommen und uns davon erzählen. Auch wenn es etwas ist, von dem du denkst, dass wir es nicht gut finden. Ein Beispiel dafür ist Pornografie, oder Videos mit gewalttätigen Inhalten. Auch die sogenannten Interaktionsrisiken sollte man immer wieder thematisieren und dem Kind klar sagen, dass es einem erzählen kann, wenn etwas Unangenehmes passiert ist – Beispiele hier wären Cybermobbing oder Erwachsene, die das Kind online sexuell belästigen.
Was sind die Gefahren von ungeeignetem und was die Gefahren von ungemässigtem Medienkonsum?
Nina Hobi: Das sollte man auf jeden Fall trennen: ungeeignete Inhalte, also nicht altersgerechte Inhalte, können unmittelbar negative, traumatisierende Auswirkungen haben, insbesondere, wenn die Erfahrung nicht durch Erwachsene begleitet wird. Geeignete Inhalte sind daher das oberste Gebot und bevor man sich gross Gedanken darüber macht, ob das Kind jetzt eine halbe Stunde oder 45 Minuten pro Tag gamen darf, sollte man sich unbedingt darüber informieren, womit das Kind sich da beschäftigt und ob es ihm damit gut geht.
Aber ja: auch ungemässigter Medienkonsum kann auch ein Risiko sein. Die Mediennutzung sollte in den restlichen Alltag passen und ihn weder belasten noch einschränken. Für Kinder und Jugendliche bedeutet das: Es muss genug Zeit bleiben für die Schule, für das Sozialleben (inner- und ausserhalb der Familie), für Spiel und Bewegung, später für Hobbies, für Grundbedürfnisse wie Nahrungsaufnahme und Schlaf. Es muss ein gesunder Ausgleich vorhanden sein. Das bedeutet für jede Person etwas anderes – aber spätestens, wenn der Medienkonsum anfängt, über längere Zeit negative Konsequenzen für das restliche Leben zu haben und die betroffene Person trotzdem ihr Verhalten nicht ändert, sollte professionelle Hilfe in Betracht gezogen werden.
Auch wenn digitale Medien ein grossartiges und spanendes Hilfsmittel sind, um Neues zu lernen oder sich auch einfach mal zu vergnügen und unterhalten, ist es wichtig die richtige Balance zu finden. Dies betrifft nicht nur die Kinder, sondern in erster Linie uns Erwachsene. Denn nur so können unsere Kinder einen ausgeglichenen Umgang mit den verschiedenen Angeboten an digitalen Medien verinnerlichen. Begleite deine Kinder und zeige ihnen gleichermassen das Potential von medienfreier Zeit und Medienzeit.
Auf jungendundmedien.ch findest du viele weitere spannende Informationen zum Thema digitale Medien im Familienalltag. Auch wenn digitale Medien ein grossartiges und spanendes Hilfsmittel sind, um Neues zu lernen oder sich auch einfach mal zu vergnügen und unterhalten, ist es wichtig die richtige Balance zu finden. Dies betrifft nicht nur die Kinder, sondern in erster Linie uns Erwachsene. Denn nur so können unsere Kinder einen ausgeglichenen Umgang mit den verschiedenen Angeboten an digitalen Medien verinnerlichen. Begleite deine Kinder und zeige ihnen gleichermassen das Potential von medienfreier Zeit und Medienzeit und den einzelnen Formen digitaler Medien.